Juvenile idiopathische Arthritis
Synonyme: JIA, juvenile rheumatoide Arthritis (JRA), juvenile chronische Arthritis (JCA)
Definition
Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis, kurz JIA, handelt es sich um eine chronische Gelenkerkrankung des rheumatischen Formenkreises im Kindesalter, deren Pathogenese ungeklärt ist. Sie tritt definitionsgemäß vor dem 16. Lebensjahr auf und hält länger als 6 Wochen an.
Epidemiologie
Ätiopathogenese
Die Ursache der juvenilen idiopathischen Arthritis ist noch nicht geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass Autoimmunmechanismen bei vorhandener genetischer Disposition den Ausbruch der Erkrankung begünstigen können. Eine Suszeptibilitätsgen stellt das CD25-Gen dar, das für den IL-2-Rezeptor α kodiert. Vermutlich spielen jedoch auch latente Infektionen (z.B. mit dem Parvovirus B19 oder dem Röteln-Virus) und Traumata eine Rolle.
Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis kommt es zu einer chronischen Entzündung der Synovia, sowie zu einer Destruktion des Knorpels. Zusätzlich können das Bindegewebe oder andere Organe betroffen sein.
Die Erkrankung verläuft typischerweise in Schüben.
Klassifikation
Nach Klinik, Alter, Geschlecht und Familienanamnese unterscheidet man zwischen folgenden Formen:
Form | Definition | Epidemiologie | Gelenkbefall | Extraartikuläre Manifestationen | Labor | Therapie |
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Oligoarthritis |
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Seronegative Polyarthritis |
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Seropositive Polyarthritis |
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Systemische Arthritis (Still-Syndrom) |
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Juvenile Psoriasisarthritis |
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Enthesitis-assoziierte Arthritis |
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Undifferenzierte Arthritis |
Klinik
Kardinalsymptom ist die Entzündung eines Gelenks (Monarthritis), einiger Gelenke (Oligoarthritis) oder zahlreicher Gelenke (Polyarthritis). Die Klinik unterscheidet sich je nach Typ der JIA u.U. deutlich. Während der Befall bei der Oligoarthritis asymmetrisch ist, zeigt die Polyarthritis einen symmetrischen Befall der großen und kleinen Gelenke. Häufig werden die Arthritiden von einer Tenosynovitis begleitet, seltener von einer Bursitis. Typisch sind ein schleichender Beginn der Beschwerden, eine Verschlechterung nach Ruhe (Morgensteifigkeit) und eine Verbesserung nach Aktivität.
Die Entzündung der Gelenke führt zur schmerzhaften Bewegungseinschränkung, sowie zu Schonhaltungen. Im Laufe der Zeit können sich Kontrakturen entwickeln. Die juvenile idiopathische Arthritis führt weiterhin zu Wachstumsstörungen.
Zusätzlich zur Arthritis kann eine Uveitis auftreten, die bis zur Erblindung führen kann. Am häufigsten kommt sie bei der juvenilen Oligoarthritis vor. Bei den polyartikulären Formen finden sich auch folgende Allgemeinsymptome:
- niedriges Fieber
- Gewichtsverlust
- Lymphadenopathie
Bei einer systemischen Verlaufsform (Still-Syndrom) weisen die betroffenen Kinder folgende Befunde auf:
- täglich rezidivierendes Fieber
- Gewichtsverlust
- Myalgien
- flüchtiges, lachsfarbenes Exanthem
- generalisierte Lymphknotenschwellungen
- Splenomegalie, Hepatomegalie
- Serositis: Peritonitis, Pleuritis, Perikarditis
Diagnostik
Grundlegend sind Anamnese und klinische Untersuchung. Zudem müssen sekundäre Arthritiden ausgeschlossen werden.
Labor
Die Labordiagnostik hat lediglich hinweisenden Charakter. Hilfreich sind u.a. die Bestimmung von
Bildgebung
Bildgebende Verfahren werden v.a. zum Ausschluss anderer Erkrankungen eingesetzt. Entscheidende radiologische Hinweise auf eine JIA sind:
- große Gelenkergüsse
- Knochenerosionen
- Gelenkknorpeldestruktionen
- meist bilateraler, asymmetrischer Befall
- Ankylose im Endstadium: v.a. Handwurzel und Halswirbelsäule
- Osteoporose
Je nach Form der JIA sind unterschiedliche Gelenke am häufigsten betroffen. Weiterhin weisen Patienten mit JIA folgende Besonderheiten auf:
- grazile Morphologie der langen Röhrenknochen (geringer Durchmesser, dünne Kortikalis) aufgrund der chronischen Erkrankung
- Kleinwuchs, hypoplastische Darmbeinschaufel: aufgrund der chronischen Krankheit und mangelnder Gewichtsbelastung
- frühzeitiger Verschluss der Epiphysenfugen: aufgrund der Hyperämie
- hypoplastische Halswirbelkörper: vorzeitige Wirbelkörperfusionen vor Skelettreife
- Mikrognathie: hypoplastischer Unterkieferwinkel, Erosionen im Kiefergelenk
- Ballonierung (Vergrößerung) der Epiphysen: übermäßiges Wachstum der Epiphysen im Vergleich zur Diaphyse aufgrund der Hyperämie. Dadurch knollig vergrößerte Gelenke (v.a. Knie, Sprunggelenk, Ellenbogen)
- vergrößerte Fossa intercondylaris femoris und Incisura trochlearis: aufgrund der Druckerosion durch den Pannus
Röntgen
- Frühzeichen:
- Periostitis: nur initial bei jungen Kindern sichtbar, sonst rein erosive Erkrankung
- unterschiedliches Wachstum der Epiphysen (falls Aufnahme der kontralateralen Seite vorhanden)
- uniforme Osteopenie
- große Gelenkergüsse
- progressive Destruktion bis hin zur Ankylose
- Wachstumsstörungen (s.o.)
Magnetresonanztomographie
In der Magnetresonanztomographie (MRT) sind bereits Frühzeichen erkennbar, bevor die JIA im Röntgenbild erkennbar wird:
- Gelenkerguss, Tenosynovitis: hyperintens in T2w
- Knochenmarködem: hypointens in T1w, hyperintens in T2w
- Erosionen: hypointens in T2w, hyperintens T2w
- Pannus/verdickte Synovia: hypointens in T1w und T2w (evtl. noduläres Bild, umrandet von hyperintensem Erguss), Kontrastmittelenhancement
- Meniskus: klein oder komprimiert durch Gelenkerguss
- Beurteilung des Epiphysenschlusses
Die Kontrastmittelgabe ist differenzialdiagnostisch essenziell.
Weitere Diagnostik
Insbesondere bei der oligoartikulären Form sind augenärztliche Untersuchungen in Abständen von 3-6 Monaten notwendig, um eine Uveitis frühzeitig zu erkennen.
Differenzialdiagnosen
Chronische intraartikuläre Blutungen bei Jungen mit Hämophilie können radiologisch zu einem ähnlichen Erscheinungsbild führen. Betroffen sind insbesondere Knie-, Sprung- und Ellenbogengelenk:
- rein erosive, destruktive Erkrankung
- übermäßiges Epiphysenwachstum aufgrund Hyperämie
- vergrößerte Einkerbungen (z.B. Fossa intercondylaris)
- in MRT hypointense Hämosiderin-Ablagerungen
Weiterhin muss an eine chronische septische Arthritis gedacht werden, die z.B. bei Tuberkulose oder Pilzinfektion vorkommen kann. Die chronische Infektion führt zu einer langsamen, erosiven Gelenkdestruktion. Weiterhin findet sich ebenfalls ein übermäßiges Epiphysenwachstum aufgrund einer lokalen Hyperämie.
Therapie
Die JIA wird analog zur rheumatoiden Arthritis bei Erwachsenen behandelt. Grundsätzlich können NSAR eingenommen werden. Glukokortikoide können intraartikulär und systemisch verabreicht werden, jedoch sollte die systemische Verordnung über einen längeren Zeitraum aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen möglichst vermieden werden. Sollte sie dennoch notwendig sein, so wird sie meist in Form einer nebenwirkungsärmeren sog. Pulstherapie mit Methylprednisolon verordnet. Dabei werden hohe Dosen über einen kurzen Zeitraum verabreicht. Bei längerer Glukokortikoidgabe sollte eine Osteoporoseprophylaxe erfolgen.
Bei ausbleibender Besserung oder um eine langfristige Steroid-Therapie zu vermeiden, werden als Basistherapie sogenannte DMARDs (disease modifying antirheumatic drugs) empfohlen. Am häufigsten wird Methotrexat (MTX) eingesetzt. An entsprechende Begleitmedikationen (z.B. Folsäure) sollte gedacht werden.
Zusätzlich können - insbesondere bei ausbleibender Besserung unter einer Methotrexat-Therapie - Biologicals (wie z.B. Etanercept, Adalimumab oder Tocilizumab) gegeben werden. Diese führen zu einer verminderten Zahl an entzündeten Gelenken, an entzündlichen Schüben sowie zur Reduktion der Krankheitsaktivität und der Schmerzen. Einige Medikamente dieser Gruppe sind jedoch für Kinder nicht oder erst ab einem bestimmten Alter zugelassen. Diese Medikamentengruppe ist zwar hoch wirksam, es ist jedoch noch wenig über die langfristigen Risiken bekannt.
Physiotherapie und Ergotherapie sollte immer begleitend verordnet werden.
In schweren Fällen können auch eine Synovektomie oder andere kinderchirurgische Interventionen durchgeführt werden.
Es ist sehr wichtig, Eltern und Kinder gut zu informieren. Eltern und Kindern sollten in alle Entscheidungen einbezogen werden.